Wirtschaftsboom in Fernost: Was Europa von Asien lernen kann – DPA / DER SPIEGEL.de – 9.10.2011

Von Andreas Lorenz

Kontinent der vier Milliarden: Was wir von Asien lernen können

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DPA

Europas Bevölkerung schrumpft, schon droht ein Mangel an Fachkräften. Ganz anders in China und Indien: Die beiden Boom-Nationen erleben einen rasanten Aufschwung – trotz Wirtschaftsflaute im Westen. Was machen sie besser als die Industriestaaten? Drei Lehren aus der asiatischen Revolution.

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Februar 2011, im südindischen Bangalore. Dort sitzt im dritten Stock der Infosys-Zentrale der Finanzchef des Unternehmens, V. Balakrishnan. Er ist 47 Jahre alt, seit Anfang der neunziger Jahre bei der Firma. Er reist regelmäßig nach Europa, um sich mit Vertretern großer Finanzfonds zu treffen, die ihr Geld bei Infosys anlegen wollen.

 

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Balakrishnan trägt Sandalen und ein blau-weißes Polohemd mit der Aufschrift “System Integration”. Auf die Frage, wie Europa sich auf das neue Asien einstellen soll, erzählt er eine für ihn verblüffende Begebenheit: “Neulich habe ich in England Jugendliche gefragt, was sie werden wollen. Wissen Sie, was die geantwortet haben?” Er macht eine Kunstpause: “Fußballspieler!”

Das ist nach seiner Ansicht ein Zeichen mangelnder Orientierung Europas in die Zukunft. “Bei uns”, sagt er, “würden Sie das nicht hören. Bei uns sind die jungen Leute ehrgeizig. Sie wollen einen ordentlichen Beruf erlernen, sie stehen jeden Morgen auf, um die Welt zu erobern.” Er ist deshalb überzeugt: “Die Europäer müssen sich vor uns fürchten.”

Europa muss sich verjüngen

Fußballspieler ist freilich ein ordentlicher Beruf, und Asien könnte ein paar bessere Kicker gebrauchen. Bislang waren es nur ein paar Südkoreaner und Japaner, die sich in den ersten Ligen Europas durchsetzen konnten. Von Chinesen und Indern keine Spur.

Aber im Ernst: Müssen wir uns wirklich fürchten, wie der Inder meint? Auch in Europa und in den USA stehen viele ehrgeizige junge Menschen jeden Morgen auf, um die Welt zu erobern.

Wie also auf das “asiatische Jahrhundert” reagieren? Wo bietet es den Europäern Chancen, wo ist es eine Bereicherung für die Welt? Und wo wachsen mit dem wirtschaftlichen Boom auch die Risiken?

Der Aufschwung Asiens muss mit Rohstoffen gefüttert werden. Immer größere Armeen stehen sich gegenüber, die Gefahr sozialer Konflikte steigt, die Umwelt wird zerbrechlicher, neue Pakte bilden sich. Diktatoren bestimmen das Leben von Abermillionen Menschen.

Wer mit europäischen Politikern, Diplomaten und Wissenschaftlern spricht, wer ihre unzähligen Aufsätze zu diesem Thema liest, ihre Reden hört, erhält viele Antworten, die sich so zusammenfassen lassen: Europa muss sich verjüngen, sich vergrößern, gar eine militärische Macht werden, sein Gewicht mehr in die Waagschale werfen, mit einer Stimme sprechen, sich in Asien stärker engagieren.

Was wir von Asien lernen können

Dies alles ist sehr abstrakt. Konkreter wurden die asiatischen Experten und Politiker, von denen man oft diese Meinung hört: “Wenn ihr mit uns fertig werden wollt, wenn ihr euren Vorsprung wahren wollt, müsst ihr abspecken: Beschneidet euer Wohlfahrtsystem, überdenkt eure großzügige Sozialpolitik!” So sagt es etwa Reuben Wong, Ex-Diplomat und Politik-Professor an der National-Universität von Singapur.

Sein Landsmann, Singapurs ehemaliger Ministerpräsident und früherer Minister-Mentor Lee Kuan Yew, hatte schon vor einiger Zeit den Europäern geraten, sich besser auf Asien vorzubereiten. Es werde “bittere Jahre” geben, in denen die Deutschen Abstriche von ihrem Lebensstandard machen müssten. Nur noch eine Woche Kur sollten sie sich leisten anstatt vier, empfahl er, “harte Arbeit” und “neue Technologien, mehr Geld für Forschung und Entwicklung, den Vorsprung vor Chinesen und Indern bewahren”.

Asean-Generalsekretär Surin Pitsuwan stimmt zu. “Die Europäer sollten keine Angst haben vor den neuen Verhältnissen”, sagte er im Februar 2011 in seinem Büro in Jakarta. Aber sie sollten bei Innovationen aktiver sein, ihre Industrien verbessern, aus der Position der Stärke kämpfen. “Vor allem aber”, so Surin: “Sie sollten damit nicht zu lange warten.”

Die billige Konkurrenz

Weniger Urlaub, kürzere Kur, mehr Arbeit, schmalere Geldbeutel – ist das die Zukunft, die wir für Europa wollen? Ist dies die einzige Möglichkeit, sich auf diesen “Neuen Osten” einzustellen, auf dieses Asien, das die Welt erobert? Versetzen uns weniger Urlaub, längere Arbeitszeiten und schlechtere Löhne wirklich in die Lage, uns der Konkurrenz aus Asien zu erwehren?

Tatsächlich kann die Lösung nicht darin liegen, mit Billigprodukten zu konkurrieren, der Kampf wäre verloren, bevor er begonnen hat. Es wäre aber auch der falsche Weg, die Tür vor der asiatischen Konkurrenz zuzuschlagen und die eigenen Märkte abzuschotten. Dies würde zu Streit und Handelskriegen führend, die Welt würde unsicherer. Auch auf anderen Kontinenten gewinnen Staaten wie Brasilien und Südafrika an Stärke, wir können uns nicht von allen abgrenzen.

Was also tun? Europas Bevölkerung schrumpft, immer mehr Bewohner sind alt, in vielen Bereichen fehlt es schon heute an Fachkräften. In anderen Branchen ist es genau umgekehrt: Es mangelt an Arbeitsplätzen.

Dies ist keine gute Voraussetzung, sich Asien zu stellen. Klug wäre es deshalb, drei wichtige Dinge zu beachten:

1) Einwanderungspolitik: Deutschland muss mehr Ausländer ausbilden – nicht nur Europäer, sondern auch Asiaten, Afrikaner und Lateinamerikaner. Europa braucht zusätzliche Ideen und Innovationskraft. Dies geht nur mit einer neuen Einwanderungspolitik. Die europäische “Blue Card”, sagen Fachleute, löst das Problem nicht, noch sind die bürokratischen Hürden für Interessenten zu hoch.

Australier, Kanadier und Amerikaner machen vor, wie das funktionieren kann: Sie locken gezielt junge Leute aus Asien und dem Rest der Welt an und bieten ihnen auf Dauer eine Zukunft im eigenen Land. Wenn Deutschland weiter “Top-Qualitätsprodukte produzieren und ausführen” wolle, müsse es die “Einwanderung hochqualifizierter ausländischer Arbeitskräfte akzeptieren “, sagt der holländische EU-Diplomat Jan Willem Blankert.

2) Bildungspolitik: Für die Europäer ist es auch notwendig, mehr Wissen und Kenntnisse anzuhäufen. Ein Viertel aller europäischen Schüler kann nicht gut lesen, einer von sieben Jugendlichen bricht seine Ausbildung vorzeitig ab. Rund die Hälfte aller Schüler schaffen zwar einen Abschluss, doch sind sie nicht ausreichend für die jeweiligen Anforderungen des Arbeitsmarkts qualifiziert. Weniger als ein Drittel der Europäer im Alter zwischen 25 und 34 besitzen ein Hochschuldiplom. Zum Vergleich: In den USA sind es 40 Prozent, in Japan sogar 50 Prozent.

 

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Die EU-Länder haben das Problem erkannt. Sie haben sich vorgenommen, das Bildungsniveau bis 2020 zu steigern, mehr junge Menschen zu einem Uni-Abschluss zu führen und Haupt- und Realschüler länger in den Schulen zu halten. Zudem wollen die Europäer mehr Geld in Forschung und Entwicklung stecken. Bislang geben Staat und private Unternehmen dafür jedes Jahr weniger als zwei Prozent ihres Bruttosozialprodukts aus, die USA kommen auf 2,6, die Japaner auf 3,4 Prozent.

3) Know-how exportieren: Zu den großen Zukunftsaufgaben wird es gehören, in den Megastädten Asiens mit viel weniger Wasser auszukommen, sie umweltfreundlich zu heizen und zu kühlen. Wie können wir dazu beitragen, den Müll zu entsorgen, neue Epidemien in den Griff zu bekommen, die Menschen energiesparender als bisher von einem Ort zum anderen zu transportieren? Eine Reihe von europäischen Hochschulen und Unternehmen arbeiten daran, diese Fragen zu beantworten. Finden sie Lösungen, schaffen sie nicht nur bei uns Arbeitsplätze. Sie tragen auch dazu bei, Konflikte in Asien zu verhindern.

All das Wissen wird gebraucht, unsere Zukunft ist mit Asien verknüpft. Wenn die Europäer dazu beitragen, diese Probleme zu lösen, können wir zuversichtlich sein für uns und die nächsten Generationen.

Fuente: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,786755,00.html

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